Äußerer Ring der Absperrung. Sie haben das Zentrum in Zonen aufgeteilt, von außen nach innen immer undurchdringlicher, tödlicher. Auf alten Grafiken ist der Wirkungskreis von Bomben so dargestellt, in der Mitte alles tot, dann nach außen hin und über mehrere Stufen von Verletzung bis zu einem erträglichen Maß an Schaden und bis zur heilen, verschonten Welt. Mit der roten, gelben und grünen Farbe nicht darstellbar: der Horror selbst jenseits der grünen Farbe und abklingender Winde von der Explosion und den Bränden. Der Stau hat vorhin begonnen und da hinten, ein paar Meter weiter oben, auf Höhe der Brauerei. In mir ist davon nicht viel übriggeblieben, woran kann ich mich schon erinnern. Von der Tür des Arztes bis zum Kesselhaus hatten mich die Autos überholt, dann waren sie ein Stück mit mir gleichauf gerollt – neben mir eine weiße, tiefergelegte Limousine mit schwarzem Dach und venezianisch verspiegelten Scheiben im Fond. „Bang Bus“ und eine Internetadresse, ich kenne den Namen vom Wichsen, die fahren durch Städte und filmen Leute beim Sex auf dem Rücksitz. Sie fahren gerne durch Staus, weil man im Schritttempo ein klareres Bild von der Öffentlichkeit im Hintergrund hat. Dann ist das Filmset hinter mir zurückgefallen, sind die Abstände zwischen den Karossen geschrumpft, immer dichter, bis sie schließlich als regungsloses, warmes, Blech an mir vorbeigezogen sind. Kein Hupen, niemand hat gehupt, an einer Straßensperre mit Polizei und Soldaten kann das tödlich sein. Noch ein Stück weiter haben sie ihre Motoren ausgeschaltet und die Wagen im Leerlauf weiter rollen lassen, bis sie an der Reihe waren. Eine wurstige Schnur aus Blech und Kunststoff, an deren einem Ende der Kontrollpunkt, die Uniformierten an große, für andere Zwecke gefertigte Teile aus Beton gelehnt. Tonnenschwere, mannshohe und höhere Teile, einst für einen Schacht oder Kanal gegossen stehen sie jetzt da, quer über die Fahrbahn mit drei Lücken für Autos und Fußgänger. Unter die Erde hatten sie es nicht geschafft, stattdessen legen sie sich selbst und etwas anderes offen – eine arge Zeit, in der die Berufsgruppen einander die Vorratskammern plündern, die Armee reicht ihre Engpässe ans Baureferat weiter. In den Autos gelangweilte Gesichter, die Hände schlaff aus den Fenstern baumelnd oder mit ein, zwei Fingern kraftlos und schwitzig an die Lenkräder gehängt. Rastlose Gesichter auch, aber schicksalsergeben in ihren Gehäusen wartend, manche rauchten, andere starrten nach unten zwischen ihre Beine, klopften und rieben die Telefone auf dem Hosenschlitz oder in der Mulde eines Rocks. Eine Straßensperre seit ein paar Wochen in dieser Straße, die obere war nur für Autos, weiter unten werden auch Fußgänger durchsucht. Wer eine große Bombe hat, zu schwer, sie am Körper zu tragen, durfte bis zur ersten Sperre vorrücken und nicht weiter. Über den Dächern der Blechwurst wirbelte heißte Luft, im Rückblick, stadtauswärts und bergauf: drei Ketten flimmernder, erst leicht gewölbter, in der Ferne absurd verzerrter und glänzender Kissen. An der Sperre selbst wollte die Haltung der Wachen deren martialischer Aufmachung nicht recht entsprechen. Lässige, müde Körper mit der Befugnis zu schießen, in viele Lagen aus Stoff eingepackt, in Keramik, Plastik, wieder Stoff und garniert mit diversen Schnallen und schaukelnden Gegenständen. Die einzelnen Ringe der schweren Hüllen – Tiefschutz, Weste, Schulterklappen, Halskrause, Helm – waren aufeinander getürmt, wie lose Abschnitte eines Rohres, trugen sich zu einem Teil selbst. Sie drückten dafür um so kräftiger auf die Fußsohlen der Krieger, auf dem Bau sagt man „die Last in den Boden ableiten“. Sie haben gelangweilt und mit dem gestreckten Zeigefinger neben dem Abzug Neuwagen durchsucht, oder wann habe ich aufgehört zu unterscheiden, zwischen heute und vor vier Jahren, wer kann schon von den Linien der Karossen ablesen, wie alt die Dinger wirklich sind? Sie haben Sitze hochgeklappt, wo es nichts zu wühlen gab, Blicke in Handschuhfächer geworfen, wo es was zu wühlen gab, den Inhalt komplett in eine flache und scheinbar eigens zu dem Zweck entwickelte Kunststoffschüssel gefegt und an einen Kollegen gereicht. Einer der Uniformierten schüttelte etwas neben seinem Ohr, ein Plastikdöschen mit Kaugummis, oder ein Medikament. Der Mann erkennte das Geräusch, war der Ansicht, da sei nichts fehl am Platz, dann hat er es zurückgelegt. Hängengeblieben ist nicht viel, ich weiß noch, die Eigentümer haben ihren Wagen nichts hinzugefügt. Sie hatten nur das Nötigste dabei, keine Laken, Decken, leeren Flaschen, oder anderen Kram, alles im Urzustand belassen und wie frisch aus der Fabrik. „Natürlich“, wenn man sowas über ein Auto sagen kann, so wie das Werk es schuf. Oder wenigstens den Wert des Blechs so lang als möglich oberhalb einer schmerzlich niedrigen Marke zu halten. Einer der Durchsuchten, stand in kurzen Hosen neben seinem Wagen, ein dreiteiliger Anzug auf zwei Kleiderbügeln in den Händen, die Bügel in der Rechten und der Linken und nach rechts und links von sich und leicht über sich gestreckt, damit man den Anzug inspizieren könne, damit der Anzug nicht den Boden berühre. Ich bin vom Fahrrad abgestiegen und habe es auf den Posten zu und durch die Absperrung geschoben, zu zeigen, ich möchte kooperieren, dass wir an einem Strang zögen, auch freundlich grüßend.
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Das ist also die Schleusenkammer. Die überwundene Absperrung hat ihre Bedeutung erst gewonnen, als sie durchschritten war. An ihr streift man alle Rechte ab, verlässt den öffentlichen Grund und steht auf einem Prüfstand, ist zur Hälfte geduldet, zur Hälfte verhaftet. Bauch und Blick des rechtlosen Besuchers merken das eher, als dessen Stolz. Er ist haltlos, dafür von allen Leinen gerissen. Im Bauch ist Aufregung, in Brust und Nacken wird sie und der verlorene Blick hinter Haltungen von Eroberern verdeckt. Wir kennen das Gefühl, es ist uns peinlich und wir wollen da ungern von uns in der Einzahl sprechen. Es ist das Auftreten lakonischer Väter vor dem Einstieg ins Flugzeug. Ohne sie und überhaupt ohne Passagiere flöge es sich viel besser, wir sind schrecklich aufgeregt, gaukeln dabei uns selbst und den übrigen Reisenden das Selbstverständnis eines unverzichtbaren und etwas gelangweilten Schaltkreises vor. Blick und schreitendes Gestell ohne jeden Halt, oder nur mit dem von erinnerten Gaukeleien. Der Blick leuchtend in den Farben von gerade eben noch, eine oder zwei Hausnummern weiter vom kommenden Geschehen weg, aber ohne Verständnis von den Zusammenhängen der Straße. Würdevolles Gebrabbel, bekannt vom Flughafen, auch bekannt von Niederlagen und Niederschlägen in der Öffentlichkeit. Es ist merkwürdig, aber da ist nichts Unbekanntes daran, die Knetmasse in meinem Bauch hat keine fremdartige Wirkung. Vielleicht eine Beschleunigende, Ablenkende: in Gedanken so weit als möglich vorpreschen in jede Richtung die sich anbietet, nur nicht aufs eigentliche Ziel zu, auf die Umarmung des Gesichtes aus dem Fernsehen und spüren, dass es wirklich ist und auf einem warmen und wohl etwas angespannten Körper sitzt. Aber weg von da, auf dem Weg nach unten kein Gedanke ans Ziel. Würde ich jetzt Auto fahren, hätt´ ich´s mit der Angst zu tun, würde die Bremse durchtreten, das Lenkrad umklammern und schwitzen. Aber diese Füße tapsen weiter, das Ganze scheint stabil, die Sinne geben unbrauchbare Meldungen von sich und trotzdem herrscht Gleichgewicht, bin ich austariert, ich sehe Vorhänge. Improvisiert, hinter einem absolut gewerblich anmutenden Fenster im zweiten Stock eines absolut gewerblichen Mietshauses, auf der anderen Straßenseite. Das alles erst gleich oder demnächst, jetzt noch unbenannt, die Vorhänge, das Stockwerk, das Fenster und so weiter. Das alles nicht es selbst, das alles eine Kulisse für die Eltern: sie haben sich beim Einkaufen kennengelernt. Das zweite Stockwerk, ich habe meine Kindheit in einem zweiten Stockwerk verbracht, die Eltern drängen mit einer Fleischtheke ins Bewusstsein, da waren sie sich zum ersten Mal begegnet. Als erwachte ich aus einem Traum mit dem Gedanken an sie, wie an eine dringende Erledigung, die zwar durchaus irgendwann anstünde, doch weder unmittelbar in diesem Moment – sagen wir mitten in der Nacht –, noch am folgenden Morgen. Eigentlich alles in den selben Farben wie zuvor, die Straße und die Häuser mit der selben staubigen Helligkeit des spätsommerlichen Mittags: jemand hat die Kulissen vertauscht. Dieser Spruch, „im falschen Film zu sein“. Der Film ist nie der Falsche, er zieht nur oft an den verkehrten Kulissen vorüber. Sie wurden vertauscht, gezielt oder etwas wirft einen Würfel.
Ich war um fremde Schwere geschlichen, ungerührt durch andrer Leute Mühsal. Sicher mit einem heimlichem Ziel, denn jede Strömung führt auf etwas hinaus, auf ein Meer, eine Mode, eine Pleite usw. Dafür ohne nach wild durcheinander rufenden Erfahrungen navigieren zu müssen, die einst gemacht worden sind und mit keiner anderen, als einer zeitlichen Sortierung unter einem Berg aus ihresgleichen verschwanden. Eine alte Stimme hätte es flatterhaft genannt, bis dann gerade eben und unversehens dieses kleine Licht aufglimmen sollte, das in der Manier eines Glühwurmes kaum etwas erleuchtet außer sich selbst. Über den Lichtpunkt sagt die alte Stimme: „Ja natürlich, wann macht man denn heutzutage überhaupt irgendetwas, ohne dabei wenigstens eine Kleinigkeit einzukaufen? Ich bitte Sie, das war im Herbst ´77 auch nicht anders, na klar, die Eltern haben sich also beim Metzger kennengelernt, daran ist nichts verwerflich und an Überstandenes zu denken – eigene Geburt et cetera –, ist nur normal, wenn´s unübersichtlich wird. Sollten wir nicht das Wort Vergangenheit streichen und von Überstandenheit sprechen?“ Ich mag die Stimme nicht, aber sie hat Recht. Wenn der Überblick fehlt und trotzdem alles auf eine absurd gewordene Entscheidung drängt, dann fangen wir an, uns mit der eigenen Herkunft zu befassen. Oder wenigstens mit dem Elternhaus. Ein Schleichweg um voran preschende Zeiten und deren, zum Teil erstaunlich ruhigen Laufschritts dahinziehende Träger. Eine Lücke zu sich selbst, zurück in die Kindheit, oder in die letzten Jahre davor. Sich finden und so weiter, das ganze Geseier vom inneren Frieden und so weiter. Dabei geht es doch nur um ein endoskopisches Blinzeln in die eigene Biografie. Sagen wir ruhig, es gehe um Feigheit. Sind wir mal nicht so garstig und nennen es lieber Erschöpfung. Wir sind´s müde, haben den Fortschritt sich selbst überlassen, Geschäftemachern und Waffenschmieden. Manche gehen auf ihrer Suche nach innerem Frieden über Leichen. Junge Männer machen es wie früher, lassen sich einen Bart wachsen und fahren mit einem rostigen Kombi voller Sprengstoff auf den Markt. Andere junge Männer machen es auch wie früher, stehen stramm, setzen sich vor ein paar Bildschirme und sprengen die Bärtigen am anderen Ende der Welt in die Luft.
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Ein Geräusch von früher: ein Fernseher. Man kann das unterscheiden, wie ein Fernseher klingt und wie das Internet klingt. Das ist keine Straße, da draußen ist keine Straße, hier ist drinnen, drinnen gibt es keinen Himmel, nur eine billige Zimmerdecke aus Holzimitat. Dürre, bräunliche Platten aus Kunststoff, ein Quadrat aus Aluminium, groß wie ein Suppenteller und in die Decke genietet, mit Lamellen aus Aluminium und fettigen Staubfusseln, eine Klimaanlage. Jemand muss vor dem Fernseher sitzen, das heißt, eigentlich muss niemand vor dem Fernseher sitzen nur weil der läuft. Ein Fernseher der alleine läuft ist beruhigend, einer der nicht läuft, ist beunruhigend, egal ob mit oder ohne Zuschauer, ein ausgetrockneter Kanal ist beunruhigend. Da schnauft jemand, rückt sich auf einem Sessel, oder in einem Sofa zurecht, ein Schuh oder Stiefel tritt auf, dann ein zweiter, das Geräusch von dünnem Boden, billigem Boden, wieder Kunststoff, oder billiges Blech. In einem Flugzeug, einem Waggon oder in einem Wohnwagen. Kein dumpfes Rollen der Kugellager, keine Turbinen, kein Motor außer der Klimaanlage, ein gestrandetes Haus. Auf den Stiefeln lastet ein halber Mensch, jemand hatte die Füße hochgelegt, sich dann etwas aufgesetzt und sie zurück auf den Boden gestellt. Aus dem Fernseher spricht eine Stimme auf Englisch, Nachrichten, zuerst aus dem mittleren Osten, dann aus dem mittleren Westen, Selbstmordattentat und Football. Ich kann den Kopf nicht bewegen, kann nicht nachsehen. Es muss hell draußen sein, durch ein Rollo schneidet Wüstenlicht in den Raum, kein Vogel zwitschert, es hört sich brütend heiß an, jemand hat die Kulisse vertauscht. Aus dem Fernseher heißt es, der Attentäter habe direkt nach dem Morgengebet zugeschlagen, zu einer Stunde als das größte Gedränge auf dem Markt geherrscht habe. Der Fernsehende, oder sie, regt sich nicht. Eine Hochschulmannschaft habe einer anderen Hochschulmannschaft eine vernichtende Niederlage beigebracht, Jubel, Befehle vom Spielfeld- oder Bildschirmrand, dann aufeinander knackende Kunststoffhelme. Wieder keine Regung. In einem dieser Videos der bärtigen, jungen Männer, war einer von ihnen auf dem Teppich gesessen, vor einer Fahne mit Schriftzeichen wie Krummsäbeln und mit Krummsäbeln, der Junge alleine umringt von Gewehren und Patronen. Er sah ängstlich aus wie er da seinen Text aufgesagt hat, verunsichert. Im Hintergrund hat dann ein Handy geklingelt, Für Elise aus 8-Bit tiefen Tönen, dann Schnitt auf einen geparkten, weißen Pick-Up an einem entferten Straßenrand, dazu die Gesänge anderer junger Männer, eine Art Heldengesang. Ein Militärkonvoi fährt am weißen Auto vorbei, dann ein Feuerball, eine halbe Welt aufgewirbelten, grauen Staubs verschluckt das weiße Auto und die Spitze des Konvois, der stehen bleibt. In einem anderen Video von den großzügiger konstruierten jungen Sportler, hat einer von ihnen von seinem Arbeitsethos berichtet. Sein Hals wurde von Muskeln geschluckt, er saß an einem Mensatisch, vor sich ein Kunststofftablett, das aufgeteilt war in zwei größere und drei kleinere Abteilungen für Essen. Hack, Kartoffelbrei, Krautsalat, Rührei, Bohnen, alles gehäuft und über die ihm zugedachten Bereiche tretend, dass sich die Portionen an ihren Rändern miteinander vermischten. Der Mann gab Auskunft, er studiere eine Ingenieurswissenschaft und habe von seinem Vater gelernt, worum auch immer sich das Spiel drehe, man müsse immer dem Ball nachrennen, „Du sollst immer um den Ball rennen.“ Ein Windstoß ruckelt an einer Tür, Klappern von dünnem Plastik, Geruch von Staub. Jetzt wieder bei Sinnen, oder zurück auf der Straße. Auf der anderen Straßenseite klappert ein Fahrrad, ein Mädchen fährt es, ist zu jung um zu merken, wie man ihr nachsieht. Keine echte Empörung, aber eine Verschwörung der Gesichter: das klapprige Rad hat hier nichts verloren, also hat das Mädchen hier nichts verloren. Innerhalb der Absperrung ist innerhalb der Absperrung, ist der Boden geheiligt von den Besitzern der Mauer.
Ich junger Mann fühle mich noch nicht wie ein Mann, lechze nach früher und danach, ein Junge zu sein. Man kann es wie früher machen, kann sein Leben an dem der Eltern oder an einem Leben weit vor denen ausrichten und das ohne dabei jemanden in die Luft zu sprengen, oder einen Stolz. Zurückkriechen in die heile Jugend, die so beschützt war, so warm. Sich davon abzustoßen heißt, sich ins Kratzige zu stürzen, nach vorne oder in eine eigene Richtung, aber in die Kälte. Lähmender Frieden im kuschligen Bunker.
Die Sonne ist auf ihren höchsten Punkt gekrochen, hat sich und den Tag dort oben für einen Moment und eine halbe Stunde lang gestoppt, bevor sie uns mit samt unseren Ortes langsam zurück in die Dunkelheit drängt. Die Hitze der letzten Wochen ist vorbei – auch überwunden –, der Asphalt hat aufgehört zu schwitzen. Die Stimme: „Sieh nur, sogar im Sperrgebiet ein Unkrautjunges am Stromkasten. Man hat die Reinigungskräfte von hier abgezogen, weil die am ehesten wüssten, wo man etwas verstecken könnte.“ Der Geruch aus Teer und dampfendem oder langsam verglühenden Gras ist eine Sache von gestern, wir gehen wohl auf den Herbst zu, den scheint es noch zu geben. Auf den Kern der Stadt zu, mit einem Fahrrad an den Händen, die Häuser werden unwohnlicher und irgendwo im Gemenge lauern hier die Eltern, lauert der schmale Blick. „Der Kern“, das sagt man so, weil es das mal gegeben hat, in wenigen Häusern und von einer Mauer umzingelt. Heute stehen da Botschaften, Kaufhäuser und Hotels, Tempel für ein spukendes Zentrum, die Mauer war weg, jetzt holen wir sie uns zurück. Die Festungen sind schon lange beweglich, flüchtig, die Mauern haardünn und verzweigt. Unter uns ein Netz aus Rohren, bis in die hintersten Winkel unserer Gefilde. Es trägt Wasser und Scheiße überall hin oder weg, man könnte sich auch woanders treffen, oder zu Hause bleiben und sich trotzdem treffen. Ich möchte aber mit meinem Körper nicht allein sein, Besuche diese Orte immer wieder, halte an ihnen fest. Wir formen Einkaufszentren und Foyers nach den Vorbildern von Präsidenten- und Königspalästen und da treffen wir uns dann. Ich gehe in den Kern der Stadt und dieses eine bestimmte Gesicht aus dem Fernsehen wird da heute auch erscheinen. Nicht vor dem Rathaus, sondern vor einem Hotel. L´hôtel de ville, das Rathaus. Das Gesicht wird aus einem großen Auto steigen, vielleicht irgendwohin winken, dann zügig hinter dicken Glastüren verschwinden. So gehen zumindest die vielen kleinen Schauergeschichten unserer Tage. Als man diese Straße entworfen hat, war man nicht auf unsere Tage gefasst gewesen, hat den Teer direkt und ohne Haken vom Rand der Stadt her, die Anhöhe hinab und mitten in ihr Herz fließen lassen. Die Demonstrationen meiner Eltern waren auch durch den Kern gelaufen, immer an Wochenenden, wo man Leute beim Einkaufen gestört hat, aber nie eines dieser Treffen von mächtigen Gesichtern. Weckrufe in den Schlafgesang von Warenhäusern, keine Klingelstreiche an den Türen der Macht. Die Routen hatten weder das Patentamt gestreift, noch die Liegewiesen in den Parks, auf denen sich bestimmt der ein oder andere Gedanke mit dem Anliegen der Protestierenden vermengt hätte. Ich ziehe in die verschrumpelte Hülse des Stadtkerns mit einem Fahrrad, das sich gegen liebevolle Vereinnahmungen sträubt, sich in seiner Form opportun an die übrigen Fahrräder seiner Zeit lehnt und nicht klappert. Keine Wut, nicht angespannt, keine Spannung vor der Entspannung, ich nenne das Rad mein Eigentum, näher lasse ich das Ding nicht an mich ran. Der Weg führt nach unten, das ist gut, auf den letzten Metern bitte nicht rauf, das ist nur anstrengend und da gibt es nichts zu sehen, außer Dachschindeln und Kirchtürme.
Ein Geschäftsviertel im staubigen Dunst von Geschäftshäusern, zu viele Fenster um dahinter zu wohnen, überhaupt zu wenig „Dahinter“, eigentlich sogar da, wo gar kein Glas ist, wo der Beton vor Einblicken schützt. Transparenz heißt: nichts dahinter. Transparenz heißt: alles im Äther, venezianisches Panzerglas, verspiegelt, mit dem Blick nach draußen oder in südliche Richtung. Transparenz heißt: helle Haut und nichts darunter – helle, leere Farben.
Der Vorhang da oben im zweiten Stock war aus einem Betttuch improvisiert oder aus einer Tischdecke. Vielleicht aus dem aufgegebenen Kleid einer sehr dicken Person, ganz sicher aus irgend etwas, das sich mit seinen Besitzern in dieses Haus verirrt hat. Kein Büro und keine Tischlerei schützt sich mit einem Betttuch vor Blicken. Da müssen tatsächlich Leute wohnen, möglich, dass sie einander ficken, oder sich selbst hinterm Vorhang. Eine Wertminderung, ein Haus gebaut für die Arbeit, die es sich da bequem machen sollte, Arbeit, die zwischen den Gipswänden und Glasplatten fett und träge als ungewaschener Geist aus Kabeln, Menschenfleisch, aus Papier und aus rotierenden, magnetischen Scheiben heraus ihre Regentschaft vollziehen sollte. Fenster ohne Raum dahinter, oder doch mit Raum, aber zimmerlos, für jene Launen der Arbeit, die morgens eintreten und es den ganzen Tag lang nicht in die Schluchten zwischen den Häusern schaffen und nach draußen, wo es manchmal Wind gibt und wohin ihnen der Rest aus Kabeln, Papier und magnetischen Scheiben nicht folgen könnte. Mehr Licht für die Arbeit, mehr Licht als daheim. Die Stimme im Innern redet schon wieder so altklug daher, sie gibt Kommentare ab, redet wie ein Buch aus feindlichem Regal. Sie sagt Sachen wie „ach schau mal an“, „hab ich´s mir doch gedacht“ und „sieh einer an“. Die Stimme nennt ein Parkhaus beim Namen und dass man es also dort drüben gerade baue („Ach schau mal an, da bauen sie jetzt ein Parkhaus hin“). Sie sagt, dass ihr die Erinnerung fehle, was da vorher gestanden habe. Vielleicht ein anderes Parkhaus, oder ein anderer von diesen Bienenstöcken aus vorgefertigte Teilen, für kleine und mittlere Firmen und Büros. Durch eine Bretterwand kann man in die Grube schauen, da pumpen Arbeiter Beton in schmale, tiefe Löcher, sogar jetzt noch, wo es Sperrgebiet ist. Da werden wohl ab etwa übermorgen die Pfähle eines Fundaments auf ihre tragende Rolle warten, auf ein Parkhaus, oder ein Hotel, oder auf beides, dass man sich darin treffen könne und etwas entscheiden, oder sich oder einander ficken.
Die Stimme hält´s Maul, Gott sei Dank. Der Blick löst sich aus ihrer Umklammerung, hängt sich einem Kondensstreifen an, unter dessen ferner Ruhe die Straße verrutscht, mit ihren Fassaden – wer wird denn gleich von Häusern sprechen – und den übergalgenhoch gespannten Leitungen der Straßenbahn.
In der flüchtenden Spitze des hohen Dunststreifens sitzen 239 Menschen, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Die mikroskopischen Gestalten rühren mich, ich weiß nicht ob beruhigend oder beunruhigend. So vollständig wie man selbst, sitzen sie fast 1000 Kilometer in jeder Stunde über uns hinweg, rutschen auf ihren Plätzen hin und her, tragen Aufregung, etwas Wohliges oder Kummer in ihren Bäuchen. Sie haben Bäuche, spüren Cola aus recht kleinen Dosen die Speiseröhre runterfließen, spüren wie das kühle Getränk den Magen erreicht, spüren wie sie sich auf etwas zubewegen, oder von etwas weg, je nachdem wonach sich das Gefühl gerade ausrichtet. Sie sitzen unsichtbar im unsichtbaren Kopf gefrierender Abgase – wie lange wird diese Stadt noch angeflogen werden? –, im tagein, tagaus und minutiös untersuchten und reparierten Fahrzeug, mit oder ohne Frage an uns hier unten. Welches andere, bewegliche Ding dulden und pflegen wir so gründlich und so lange, wie wir es mit Flugzeugen tun, 20 Jahre, 30 Jahre? Wir können das also, etwas in Schuss zu halten.
Plötzlich doch die schnelle Abkehr vom Himmel, zurück zur Stimme und ins dahin rollende Geschehen: vorne an der nächsten Straßensperre andere Uniformen als in meinem Rücken. An der Pforte zum Kern trägt man die kugelsichere Weste farblich auf die übrige Klamotte abgestimmt, bürgerliche Etikette gilt hier mehr, als Tarnmuster für bevorstehende Trümmerfelder. Das Geschmeide schillert seidig, vom Nylon, oder von schussfesten Fäden, es ist dicker geworden, aufgesetzte Nähte zeichnen die tief im Innern verpackten Taillen nach. Wir haben uns lange an diese Westen gewöhnt, denken da nicht mehr an einen Ausnahmezustand, oder an den deutschen Herbst. Wir denken an das Recht auf Berufssicherheit, an Maurer mit Rang- und Hoheitsabzeichen, Arzthelferinnen mit Schulterpolstern aus Kevlar, Tischler mit Nachtsichtgeräten. Die alte Stimme in mir ist nicht erstaunt über Tarifverhandlungen im Polizei- und Militärdienst. Ich halte das Fahrrad nichtmehr am Lenker, balanciere es mit einer Hand auf dem Sattel neben mir her. Die Fenster in der Straße bleiben heute geschlossen, im Sperrgebiet wird auf offene Fenster geschossen, es wird geraten, die Gardinen nicht vorzuziehen, den Scharfschützen auf den Dächern zeigen, dass man nichts im Schilde führe. Die liegen auf heißem Bitumen, stundenlang, warten darauf, dass etwas passiert, dass sie etwas entdecken, was eine Gefahr darstellt, oder eine Verdächtigung wert ist und eine Korrektur am Zielfernrohr. Sicherung und Abzug, sie machen zwei Mal den Finger krumm, dann knallt es, Kugel raus und in der Kreuzung zweier schmaler Linien geht jemand zu Boden, ein kleines, rosa Wölkchen weht davon. Zwei der Gestalten an der Absperrung tragen Helme in der Größe eines Reisekoffers, ihre Anzüge wie seidenbespannte Ofenrohre aus einem Traum. Sie sitzen auf dürren Klappstühlen. In ihren Burgen versunken reichen die Gesichter kaum bis ins Visier. Es ist befremdlich, ich spüre keine Angst bei ihrem Anblick, auch keine Traurigkeit, dass es soweit gekommen ist. Die gepanzerten Menschen haben sich ins Leben der Leute gemischt, sind dort aufgenommen worden wie rechtschaffene, vielleicht sogar wie lang erwartete, neue Nachbarn. „Kümmert´s mich?“ fragt die Stimme, als wüsste sie die Antwort ohnehin. Als würden wir nicht wenigstens auf derselben Baustelle arbeiten, die Wachen und ich, als verdienten sie nicht ihren Lohn damit, dass es solche wie mich gibt, als wären ihre klobigen Kleider nicht gemacht, eine Explosion heraufzubeschwören, ihr mit Ach und Krach standzuhalten, dann wie blutverschmierte OP-Kittel weggeworfen und von noch stabileren Sachen ersetzt zu werden. Wir arbeiten zusammen, es ist ihre Aufgabe, sich und die Klamotte auf mich zu legen, vom Knall in kurzem Ruck angehoben oder auf die Seite geschleudert zu werden und da in tiefer Entspannung liegen zu bleiben und glücklich, es überlebt zu haben. Ich weiß von ihr, aber spüre unsere Zusammenarbeit nicht, während ich hier meine drei Kügelchen durch die Absperrung schmuggle. Wenn niemand etwas reinschmuggeln würde, wäre all die Arbeitszeit der Wächter und der Transporteure von Befestigungsanlagen sinnlos abgeleistet, die Sperre wäre sinnlos. Da ist nichts zu spüren, keine Aufregung, ich bin abgestumpft in meiner Arbeit. Die Zeichen dass es um die Wurst geht, quaken laut an mir vorbei, wie ein Streit unter Enten auf einem Teich. Kein Zorn, keine Häme, die Stimme sagt nicht „wartet nur, gleich werdet Ihr Euer blaues Wunder erleben.“ Wenn das Vergehen nichts in mir bewirkt, ist es so unwirklich wie die Sperre selbst, haben beide, Sperre und Vergehen, den gleichen Sinn: sich aneinander zu erinnern, einander Wirklichkeit zu bleiben.
Ein unscharfes Bild von Krieg, unter königlich blauem Stoff keramische Platten gegen Splitter und Kugeln, ein Zaun und ein Sperrgebiet, das Gestalten schützt, die hier nicht erscheinen müssten, die hier erscheinen, um sich und ihren Feinden Wirklichkeit zu verschaffen, um angreifbar zu sein. Ab und zu steigen die Götter zu uns hinab und opfern einen der Ihren, oder geben sich eine kleine Blöße. Im Schaufenster einer Apotheke steht die Statue eines nackten Helden in Gips. Man nennt das Demokratie, den Völkern einen Herrscher oder ein Stück davon zum Fraß vorwerfen. Ein kleiner Gott für jedes Regal.
Jetzt, wo es bald soweit ist, stimmen mich die Kugeln im Bauch friedlich. Sie machen den Eindruck vom Weg ins Getöse so sanftmütig, die Ohren so weich, aus meinem Hals kommt eine Melodie, findet verschlossene Lippen, entwischt durch die Nase. Ich summe allen Ernstes ein Lied, oder eben nicht ernsthaft, sondern selbstvergessen genug, es erst mitten im Auf und Ab der Melodie zu bemerken. Kein Lied das ich kenne, aber freundlich. Eigentlich auch nicht freundlich, eher, oder ungefähr mit dem Gleichmut von diesen Windspielen aus Bambus, die mir immer zuwider waren, wegen dem selbstgefälligen Grinsen das sie einem entlocken, auch wegen ihrer Besitzer. Ein Lied und das Brummen von Motoren in niederer Drehzahl, Autos tröpfeln durch die Sperre, manche an denen ich vorbeigekommen bin, wurden abgewiesen. Sie rollen einsam und in großen Abständen durch den inneren Ring, als wären sie Nachzügler oder nach überhastetem Ausbruch noch einmal kurz umgekehrt, weil sie hier etwas vergessen hätten. Sie fahren langsam, ihre Lenker möchten nicht den Eindruck erwecken, sie könnten durch den zweiten Posten und ins Herz des Sicherheitsgebietes durchbrechen wollen. Das Sicherheitsgebiet. Auf den Plänen für Anwohner grün überdeckt, auf den Plänen für die Polizei rot. Grün gibt es nur auf Kosten von Rot, wo Sicherheit herrscht, schmiegen sich Finger an ihre Abzüge. Sicherheit kann nicht für ein Gebiet gewährleistet werden, kann gerade mal für ein Zimmer gewährleistet werden, für den Schlaf, das Mittagessen und für das Getuschel einer Handvoll Leute.
Die wenigen Passanten sind sich nicht einig, wie sie mit dem Zustand umgehen sollen: manche von uns haben die Bürgersteige verlassen, laufen auf der Fahrbahn, queren die Fahrbahn ohne sich nach den Autos zu richten, die immer noch tonnenschwer sind, deren Fahrer aber mit schamvoller Zurückhaltung jeden Vortritt gewähren, wo sie doch schon soviel Arbeit verursacht haben, bei ihrer Kontrolle. Andere Fußgänger behalten ihre Achtung vor der Straße, warten an roten Ampeln, schauen links und rechts, bevor sie von den Gehwegplatten auf den Asphalt wechseln. Der Ort hat keinen Takt und mein Lied ist zu verspielt, es passt hier nicht rein. Das ist eine Schleuse, da herrscht Konfusion, liegt Spannung an. Die Lage ist angespannt, nur noch wenige hundert Meter zum Herz des Verbotes. Hier in ihrem Hinterland, lernt der Normalität zaghaft das Streunen. Der Ort steht unter Strom, wir Passanten halten die Spannung: eine Seite zieht lose, apokalyptisch oder in Erinnerung an Straßenfeste durchs Geschehen, die andere Seite huldigt den Regeln von draußen und jenseits der Absperrung. Aber selbst die Losen unter uns üben ihren Alltag aus, telefonieren, haben kein verlorenes Auge für die Stimmung, blicken auf ihre Bildschirme, und tippen etwas ein. Das Ganze lernt zu streunen, nicht seine Teile, nicht seine Bewohner. Feinde dessen würden sagen, wir seien ins Schwimmen geraten. Sie lassen sich den Gehsteig und die Ampeln nicht nehmen, ich gehe mit ihnen, weil ich nicht auffallen möchte, ihnen nicht und nicht den Leuten am Abzug.
Die Luft schmeckt metallisch, wie sie sonst erst nach einem Gewitter schmeckt, oder wenn man aufgeregt ist, vielleicht doch Angst hat, mit ausgedehnten Umwegen eine Ankunft vermeidet, einen Ernstfall.
Die Stimme fragt: „Weißt Du noch, der Großvater?“ Er hatte meiner Großmutter ´42 auf einer Postkarte die knatternde Schönheit der ungarischen Puszta beschrieben. Durch einen Türschlitz seines Eisenbahnwaggons waren Stunden um Stunden wogende Gräser an ihm vorbeigezogen, Rehe, die sich in die Steppe verirrt hatten und schräg in den Himmel ragende Stangenbrunnen. Reitende Hirten, die von der Langeweile ihres Berufs in artistische Übungen auf den Rücken ihrer Pferde getrieben worden waren. Im Klappern der eisernen Räder und Gleisschwellen herrschte unter den verlausten Kriegern eine Ruhe, als habe es gegolten, dass jeder von ihnen allen Frieden aus sich und dem kratzigen Feldgrau kehre, ihn von sich ab- und in die Mitte des Wagens lege, bis sie die Wolga erreicht hätten. Da lag dann die geballte Friedlichkeit der angehenden Mörder dick in der muffigen Waggonluft. Der Opa genoss einen Ausblick, der ihm die Aussicht aufs Grauen verdeckte.
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Vielleicht waren es die kleinen Läden, selbst Tags mit blinkenden Schaufenstern, vielleicht war es die Polizei: ja, meine Eltern haben sich beim Metzger kennengelernt, ja, sie lagen oft im Streit mit der Polizei. Man kann da schon mal an sie denken. Hier werden nur Schrauben verkauft, Werkzeuge und alte Telefone. Die Eltern waren gemeinsam, gegeneinander und kurz bevor sie einander kennenlernen sollten, um das letzte, gebratene Huhn auf einem Spieß angestanden. Die Ladenbesitzer müssten protestieren, wer soll ihnen, hier mitten im Sperrgebiet ihre alten Telefone abkaufen, welcher Handwerker wird sich am Kontrollpunkt anstellen, um ausgerechnet hier Schrauben und Nägel zu kaufen? Ein Gashändler sitzt vor seinem Laden und trinkt Bier. Diesmal ist die Kulisse am richtigen Fleck: man kann unter den Augen der Wachen Gas, Schrauben und Elektroschrott kaufen, aber wer wird denn schon gleich Bomben wachsen sehen. Die Kulisse ist wirklich gut gebaut, Leute vom Geheimdienst stehen hinter den Ladentheken und warten darauf, dass jemand sich verdächtig macht und bei ihnen einkauft. Der Gasmann wird von einer Lautsprecherdurchsage angesprochen: man blockiere jetzt zu Testzwecken für eine Minute den Mobilfunk. Das lässt ihn kalt, er trinkt ja nur Bier. Dafür blicken ein paar Fußgänger erschrocken auf, sie seufzen, rollen mit den Augen und stecken ihre Telefone weg. Ich spiele mit der Batterie in meiner Hosentasche und merke, wie die Hand schwitzig wird.
Die brutzelnden Hühnerhäute und das Paprikapulver haben ein Strahlen in die Gesichter der Eltern gezaubert. Begeisterung zweier einsamer Menschen, dass sie sich ein Stück Fleisch gönnen würden, banges Hoffen, dass es ihnen niemand vor der Nase wegschnappen möge. Das hier ist kompakt, obwohl ich es unmöglich gesehen haben kann, haben die Bilder einen deutlichen Rand, sind nicht mit anderem Schutt vermengt. Es ist gerade so, als wäre es gestern gewesen, oder vor einer Sekunde und ich mittendrin und in die Eltern gefahren im ausklingenden deutschen Herbst. Man nennt das Vorstellung, Imagination. Unser Wort dafür ist zu Unrecht abschätzig gemeint: Einbildung. In den Augen von Mutter und Vater und in ihren Nasen durch einen Kaufhof gehen. Vielleicht durch einen Hertie, auch und immer noch auf die ganz rote oder grüne Zone zugehen, ein Fahrrad an der Hand. Die Abteilung für Ramschbücher dünstet billige Druckerschwärze aus, Schwaden von hundert Parfüms ziehen die Rolltreppen herunter, aus dem Erdgeschoss, wo immer die Parfümabteilung ist und ins Untergeschoss, wo immer die Bücher und die Brathähndl sind. Die Käsetheke, an der – wer jetzt, ich, die Mutter, der Vater? – die Luft anhält, dann tief einatmen beim Fleisch und dem glühenden Elektrogrill. Geruch von verbrennendem Fett, Musik auch, damit die Geschäftsführung die Geräusche im Griff hat, man nicht den anderen Einkäufern zuhören muss, scheinbar ganz nah, oder eindringlich, dass nichts sonst einen Eindruck hinterlassen kann. Erst einen halben Augenblick bevor der Metzgermeister fragen würde „Für Sie bitte?“, tritt die Musik in den Hintergrund, in der zweiten Hälfte des Augenblicks dann ein Gruß, „Guten Tag“. Darauf weicht jener Verkäufer in gespieltem Gehabe ein Stück zurück, legt den Kiefer in ein Doppelkinn und blickt mit den Augen an uns herab. Er stellt klar, dass er weiß, wir seien nicht von hier und auch, dass wir hier nie dazugehören würden. Meine Eltern sind in mich gefahren, nein, haben da die ganze Zeit über geschlummert und drängen jetzt an die Oberfläche, wie eine Blase uralten Gases, das aus dem Ozean hervorquillt. Zuerst tauchen kleinere Bläschen auf, die sich zum wabernden Hohlraum gesellt haben – eingebildete Einrichtung eines Kaufhauses Ende der Siebziger –, dann, nach einer Weile sehen wir eine schillernde Kuppel auf uns zukommen, das sind die Eltern. Wir fallen schließlich beinahe in Ohnmacht, im Gas aus fauliger Vorzeit, von dem wir wissen, es war da unten, tief unter Wasser und in einem Grund, den wir, den unsere Vorfahren seit Saurierjahren nicht mehr berührt haben. In einer winzigen, oder gewaltigen Verschiebung des Blickes, oder der Geschehnisse, ist die Blase der Eltern aus der Tiefe hervorgequollen. Das ist nicht übertrieben, das Jahr 1978 zum Beispiel liegt unter Schutt und Asche begraben, wie ein ölgewordener, urzeitlicher Wald unter Erde und Stein.
Ein Sexshop, Musik kommt raus, kein Geschäft ohne Musik, im Kino schweigen die Zuschauer, im Laden und auf Klos tönt das Radio über den Furz. Die Auslage wirbt mit Sprüchen, Spiegelfolie, mit bestimmten Farben, denen etwas Lasterhaftes nachgesagt wird. „Alte Videos“, „Neue Videos“, „Toys“, „Ekstase“. In manchen Pornos kann man Leute sehen, die dabei gefilmt werden wie sie sich etwas in den Arsch stecken und dann, gekleidet wie alle Anderen, über einen belebten Platz gehen. Ihnen geht dabei heimlich einer ab, zumindest sollen wir davon ausgehen und das macht uns an. Aber die drei Knöllchen in meinem Darm erregen mich nicht, die Drähte jucken ein bisschen, scheuern da, wo die Haut ganz eng in ganz feine Fältchen gelegt ist. Darüber sollte man in meiner Lage besser nicht nachdenken. Was mich erregt: was denn wohl die Anderen in sich herumtragen. Eine junge Frau mit einem T-Shirt: „Born a Bomb“, als Bombe geboren. Anderweitig beschäftigt rutschen fünf Spatzen über die Scheibe eines geparkten Wagens. Die Vögelchen flattern nicht um die Drift nach unten zu stoppen, sie verschaffen sich eine Richtung mit der sie rechnen können. Auf ihrem Weg nach unten picken sie Mückenleichen vom Glas, die dort bei schneller Fahrt zermalmt und von der Sonne getrocknet wurden. Die Vögel bleiben ungerührt von der Szenerie und den wartenden Kugeln in den Magazinen. Sie flattern außerhalb der Frage, ob sie den Wert des Lebens hier, dieses Lebens, mehr oder weniger schätzen sollten, als den Wert eines Lebens am anderen Ort. Spatzen haben keine Sehnsucht, beneiden keine fernen Artgenossen, sind auch nicht froh, besser dran zu sein als sie. Sollte es knallen, würden sie aufschrecken und davonflattern, wie es Vögel seit jeher tun. Wenn dann später und aus sicher geglaubter Entfernung betrachtet alles vorüber schiene, würden sie zurückkehren und nachsehen, was übrig wäre oder was sich zu den Toten auf der Windschutzscheibe und anderswo gesellt hätte. Die Spatzen sind keine großen Wanderer, für sie bedeutet der Horizont den Tod. Sie geben ihr Haus erst auf, wenn es verschwunden ist, ihr Revier erst, wenn ihnen die Stunde schlägt. Dazu stellte seinerzeit ein Ornithologe Beobachtungen an. Er lag in Matschlöchern und arbeitete an seiner kämpferischen Auszeichnung, am eisernen Kreuz zweiter Klasse, am Ritterkreuz zweiter Klasse des Albrechtsordens mit Schwertern. Aus einem Graben nahe der Aisne-Front beobachtete dieser angehende Nazi die Vogelwelt im Trommelfeuer. Die Tiere machten keine Anstalten das Weite zu suchen oder den Frieden – Amerika! Sumatra! Stattdessen und als gäbe es zur tausendmal gesprengten Landschaft eine magische Verbindung, flatterten sie von Baumstumpf zu Baumstumpf, oder versuchten sie ihr Glück in ruinierten Häusern – unverdrießlich, als wären sie nicht schon fünf Mal dort gewesen, als gäbe es kein Gestern. Zuvorgekommene Artgenossen wiesen Nachzügler unter wildem Gezwitscher ab, Dr. Franz unterlag einem irrigen Vergleich mit sich selbst. Er nahm an, dass die Vögelchen Seelen besäßen und dass sich diese Seelen an den Schutt klammerten, der ihnen einst ein Nest war, so wie er selbst es in seinem schadhaften Graben, oder mit seiner Kindheit tat, in der er oft Prügel bezogen hatte. Die Spatzen werden bleiben, ob Krieg ist oder Sonntag, sie können gar nicht anders und werden auch nicht darum weinen.
Ich kann die Uniformen jetzt hören, ihre Ferne ist geschluckt worden. Dann Sehnsucht nach dem Weg. Die Reise war bis hier hin erfüllt von anderen Welten, aber alles Gerede von Einsicht, von Unausweichlichkeit, lüftet sich als bloßer schöner, oder enzyklopädisch bedruckter Schleier, wenn man etwas gegenübertritt, das einem letztlich doch ein Ungeheuer geblieben ist. Auf dem Weg ins Verderben, die Flucht ins Paradies. Am Ende, oder am Eintritt da hin, finde ich mich unter den Panzermenschen. Die Barrikaden hier sind nicht mehr behelfsmäßig wie weiter oben, weiter außen. Große, schwere Dinge, eigens hergestellt um in den Weg gelegt zu werden. Eine ganze Branche, ein umkämpfter kleiner Markt, Katastrophen und deren Hinterland zu beliefern. Formen aus einem alten Computerspiel, unbeholfen, grob, jeder zusätzliche Knick, jede Verfeinerung kostet Rechenleistung oder Holzplatten beim Formenbau. Drachenzähne gegen Autos und sogar Panzer, Betonstümpfe auf dem dunkelgrauen Asphalt und dem hellgrauen Granit, quer über die Straße, von einer Hauswand zur anderen, ein Maul aus Drachenzähnen, ein Unterkiefer, das genügt. Dahinter brusthohe Wannen, kleine Schwimmbäder, auch aus Beton. Beton gegen Fahrzeuge, gegen Splitter und Kugeln, und Wasser, das die Energie von Zusammenstößen oder Explosionen schluckt, das sie zu Wellen und Spritzern verdaut. Durch die innere Sperre kommen nur Fußgänger, keine Autos. Nicht wegen der Bomben, nur kann man niemandem gestatten, mit zwei Tonnen Blech und hunderten von Pferden durch das geschützte Gebiet zu ziehen. Sicherheit ist etwas Fragiles, ist ein zerbrechliches Wesen, das zittrig durch die Öffentlichkeit schleicht, untergehakt bei bulligen Menschen und deren noch bulligeren Gerätschaften. Die alte Stimme winkt mir zum Abschied, sagt: „Sicherheit ist ein lahmer, magerer Hund in einem Laufgestell. Ihre Hinterbeine an den Bauch und zur Seite gebunden, den Arsch auf zwei Rädern, schleppt sie ihren abgestorbenen Unterleib durch die Gegend, hechelnd und hoffend, dass man sie nicht tot beiße, oder in der Hoffnung, dass dies Herz in rippenscheiniger Brust sie endlich von seinem Hämmern erlöse.“ Was Sicherheit bietet, ist eine Waffe, ein Auto schützt seine Insassen vor und verleitet sie zu bestimmten Gewalten, also ist ein Auto eine Waffe.
Die Rüstungen der Wachen machen ein Geräusch von steifem Stoff. Kein Faltenwurf in ihren Kleidern, die Hosen, Westen und dicken Hemden würden von selbst stehen, die Wachen stecken in ihnen wie in kleinen Häusern, fassen mich durch ihre Wände hindurch und mit ihren Wänden an. Sie stehen dicht um mich, kaum ein Stück Straße in den Lücken zwischen ihnen zu erkennen. Als sitze man in einer großen, fleischigen Handfläche, zur Hälfte geschlossen, drohend oder beschützend. Man reicht jemandem seinen Ausweis, tut das vorsichtig, nicht zu hektisch – nie etwas hektisch aus der Tasche ziehen, wenn jemand auf dich zielt! Man sagt vielleicht „Hallo“, oder „Guten Tag“, je nachdem, worin man sich am heimischsten fühlt, oder du. Auf den fragenden Blick hin, ein Kommentar zur Batterie in der Hosentasche: nur als Muster, um eine Neue zu kaufen und wer kennt denn heute noch diese alten Dinger und so weiter. Die Arme von sich strecken, wie du das aus Filmen kennst, den Blick ins Nichts richten, der Kontrolle nicht ins Auge schauen, ihr nicht zu nahe treten, denn so ein Blick erhascht Augenhöhe und das darf nicht sein. In einer gebogenen Keramikplatte versteckt, liegen Hände wie zartes Muschelfleisch. Sie reiben an der Innenseite meiner Arme entlang, schmiegen sich in Achseln, dann weiter an den Flanken und der Taille runter und betont gefühllos. Das hier ist kein Arzt auf der Suche nach einem Tumor, auch kein Liebhaber auf der Suche nach Erregung. Dann doch einen heimlicher Blick auf den Kopf des gebückten Wachpostens. Er arbeitet sich an der Außenseite der Beine entlang, mit einem Ruck oder Strich über meine Knöchel zum Boden, Wunderheiler streifen so den Dämon ab. An der Innenseite der Beine rauf bis in den Schritt, jetzt noch gröber, einen noch deutlicheren Unterschied zu den anderen Interessengruppen zu markieren, und nochmal raus, außen an die Beine, und nochmal runter zum Boden – abstreifen, raus mit den Gespenstern, raus mit dem Ungeheuer, raus mit der Angst!
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Ein zerbrechliches Wesen schreitet in der Manier zerbrechlicher Wesen die letzten Meter einer Straße hinab, auf die Lichtung im Inneren der Stadt zu. Vor ihm liegt der patrouillierte Garten aus Hotels und Kaufhäusern, verriegelt als wäre es ein Sonntag. Ein Scheuern in der Gesäßfalte, eine kleine, rechteckige Batterie in der schwitzigen Hand in der Hosentasche des Wesens, neun Volt, ein etwas veraltetes Modell, man sieht die Klötzchen heute kaum mehr. Das Wesen hält sich an dem Ding in seiner Tasche fest, hat vorhin an den Kontakten geleckt, hatte ein pelziges Gefühl auf der Zunge, einen metallischen und salzigen Geschmack wie früher, als es Kind war. Hat damals auch an Batterien geleckt um zu sehen, ob Saft drauf war, auch an den kleineren Zylindern, eineinhalb Volt, es hat an denen aber nie etwas geschmeckt. Ist das schamvoller Abstand, wenn Leute meinen, sich und ihren Körper von außen zu betrachten? Peinlichkeit, Transzendenz und Abschied, ich bin durchgelassen worden, sehe mich am Rand des Platzes und einen greisen Obdachlosen in einer Hofeinfahrt. Er ist klein, schmächtig, trägt eine Brille mit dicken, ölverschmierten Gläsern, beinahe so, als wäre er Maschinist im Bauch eines Schiffes oder eines Wales. Eine Wollmütze, sie reicht gemäß unserer Mode nicht über die Ohren. Ich kenne ihn, er war schon vor den Absperrungen hier unterwegs, hatte sein Lager aus Tüchern und Tüten mal hier, mal dort und in toten Winkeln der kleineren Straßen rund um den Platz aufgeschlagen. Er kniet an einen Torbogen gelehnt. sein Rücken ist rund und schlaff, aber das kleine, staubige Gesicht ist konzentriert. Er belauscht etwas, das stille Geschehen, die Spatzen, das Warten auf ein verdunkeltes Auto. Er hat eine Hand an die Wand gelegt die ihn stützt. Er bewegt seine faltigen Finger tastend über den Putz, sucht wohl nach Vibrationen oder nach dem Puls des erkrankten Stadtteils. Diese zarte Gestalt war hier, schon Jahre bevor die Sicherheit kam, die ihn nicht beschützt, ihn aber immerhin ignoriert. Wie tausend Generationen einer Tierart, hatte der kleine Mann an sich und in seinen Dingen um sich die Farben einiger Winkel dieses Ortes angenommen, er hatte sich getarnt. Bevor die Absperrung installiert wurde, waren die Fassaden hier schmutziger, hatte man sich zwischen ihnen und im Lärm durcheinander plappernder Ramschläden in Bahnhofsnähe gefühlt. Haut und Zähne des Mannes, der Pullover mit einem gestrickten Naturmotiv, alles grau-braun, selbst die Brillengläser. Stücke von Folie, mit großen Buchstaben bedruckt, am zarten Männlein nur als Ausschnitte von Firmenschildern oder Reklametafeln, hier und da blinken schwache Lämpchen, hat er Dioden an seine Sachen genäht. Von einem Mann zu sprechen fällt schwer. Wer oder was würde die Männlichkeit dieses Wesens herausfordern, ihn aus seinem Kokon abgerissener Kleider von Weiblichkeit – oder sollte es nicht besser heißen: von Fraulichkeit – absetzen? Er hat das eingebüßt, abgelegt, oder wir haben es ihm genommen. Der Zarte ist ein unsichtbares, ein öffentliches Wesen ohne Erotik. Nichts unter seiner Hülle, über das unsere Geilheit spekuliert, nichts, in das wir uns vorwagen würden, seine Tiefen bleiben als Wahnsinn versiegelt. Ein Geist, der hier in seiner Schäbigkeit geduldet haust, der seiner eigenen Haut beim Altern zusieht, während um ihn die Läden ihre Besitzer wechseln, Angestellte gegen neuere Angestellte ausgetauscht werden, sich ältere Moden in den hinteren Winkeln neuerer Moden verstecken und die Lichter an der Oberfläche des Obdachlosen langsam verglimmen. Seine Lippen zittern, aber nicht vor Kälte, dieser Mund bewegt sich ohne Worte weiter, erzählt stumm vom Leben eines Phantoms, flüstert dem Putz seiner Wand etwas zu, beklagt den Schmerz genommener Abschiede. Der Alte schließt seine Augen, streichelt nur mit den Spitzen der Finger die Wand der Einfahrt, spricht mit etwas, das in ihr zu stecken scheint, redet mit den Toten im Jenseits, er redet mit dem Toten an sich, ein Auto biegt um eine Ecke, dann noch eins und noch ein Drittes, die einzigen Autos, gleich ist es soweit, der Zarte Mann Mann bleibt ungerührt. Die Wagen halten unter einem gläsernen Vordach, aus dem Vorderen und dem Hinteren steigen Bewaffnete aus, bilden ein Spalier zwischen dem mittleren Fahrzeug und dem Eingang des besten Hotels am Platz. Dann öffnet sich eine Tür des Wagens und hinter der verspiegelten Dunkelheit erhebt sich dieses Gesicht aus dem Fernsehen, blickt zuerst auf sein Telefon, dann schaut es sich um, worauf seine Wachen schießen. Die sind von ihm abgewandt, lassen es in ihrer Mitte stehen, wie in einem leeren Zimmer, brüllen etwas vom Anhalten und von einer liegenden Haltung auf dem Boden. Aus dem knatternden Nebel und roten Spritzern tritt das Gesicht ganz nah an meines heran, seine ungeschminkte Haut, heute nicht im Fernsehen, die Fältchen sind echt, die Haut ist echte Haut, dem Gesicht ist seine Distanz genommen, es ist erschrocken, jetzt ist es verbraucht.
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Wir sehen: 12 Überraschungseier in einem Karton, der Karton entlang einer Perforierung aufgerissen, innen golden lackiert, außen in den Farben der vertretenen Firmen, „Toy Story“, „Kinder Surprise“ und „Trash Pack“. Vor dem Karton stehen sechs Spielzeuge aufgereiht, in vager Autoform und mit Augen auf den Windschutzscheiben, unter dem Karton eine rote Tischdecke, hinter dem Karton ein weiteres Spielzeugauto, allerdings viel größer als die ersten sechs und noch verpackt in durchsichtigem Kunststoff. Hier ist der Name eines Action-Schauspielers zu erkennen, „McQueen“, der „Steve“ fehlt. Die aufgeregte Stimme im Hintergrund grüßt uns, zählt auf, was wir da sähen und merkt an, dass sie das alles besitze. Zwei Hände kommen ins Bild, eine von links und eine von rechts. Die Stimme, der wir uns nicht weiter widmen wollen, bringt eine aufgeregte Spannung zum Ausdruck, was sich wohl im ersten Ei befinde, das sich die Hände jetzt greifen, von dem sie eine bunt bedruckte Alufolie abpellen. Zeigefinger und Daumen kratzen die äußere Hülle auf, die Ringfinger stützen das heraustretende Schokoladenei von hinten, die sonst tatenlosen Mittelfinger werden hinzugezogen, die mittlere Schale aus Schokolade aufzubrechen. Beide Hände lassen die Brösel der Süßigkeit zwischen sich und aus dem Bild fallen, ohne ein Zeichen von Hingabe, auch nicht in der Stimme. Sie halten einen bauchigen Zylinder, oder eine gestreckte Kugel aus milchigem, halb durchsichtigem Kunststoff – die innere Hülle, der Kern. Das Geschehen rückt in einen Zeitraffer, der die Schale zweiteilt, etwas Braunes herauszieht, sie dann fallen lässt. Die Zeit verlangsamt sich zurück in ihr normales Maß und zwischen den näher an uns gerückten Fingern wird ein Hund aus Plastik deutlich. Seine Füße erwecken den Eindruck, in gelben Pantoffeln zu stecken, um den Oberkörper ist ein silberner Draht gewickelt, wie auf einer Spule. Eigentlich ist es ein Torso aus Kunststoff, in seiner Form an eine längliche Spule silbernen Drahts angelehnt. Vom Kopf des Spielzeugs stehen zwei Ohren senkrecht nach unten ab, auch braun, aber etwas dunkler, die Schnauze ist mit demselben Gelb bemalt wie die Füße, hat einen schwarzen Fleck an ihrer flachen Spitze. Die beiden Augen des Köters schielen etwas, das rechte Auge nach innen, das Linke geradeaus. Aus dem hinteren Ende des gefälschten Hundes windet sich eine weitere, silbrige Form, eine Art Schwanz in metallischem Look. Schnitt, Cut. Die linke Hand hält eine kleine Drucksache – für uns riesig, wie auch die Fingerspitzen –, darauf finden wir jenen Hund wieder, neben anderen Figuren ähnlicher Machart. Schnitt. Das nächste Ei und so weiter.